Globale Trends: Angesichts der Krisen stocken weltweite Fortschritte bei der Beendigung des Hungers
Der weltweite Hunger ist nach wie vor zu hoch, die Fortschritte bei der Verminderung sind fast vollständig zum Stillstand gekommen.
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Der weltweite Hunger ist nach wie vor zu hoch, die Fortschritte bei der Verminderung sind fast vollständig zum Stillstand gekommen. Der globale WHI-Wert 2023 beträgt 18,3, was als mäßig gilt, jedoch nicht einmal einen Punkt unter dem WHI-Wert für 2015 von 19,1 liegt. Etwa 735 Millionen Menschen wird jeden Tag das Recht auf angemessene Nahrung verwehrt.
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Diese Stagnation im Vergleich zu 2015 spiegelt die kombinierten Auswirkungen mehrerer Krisen wider. Dazu gehören die COVID-19-Pandemie, der Russland-Ukraine-Krieg, die schwache Konjunktur und die Folgen des Klimawandels ebenso wie anhaltende Konflikte in vielen Ländern. Die sich gegenseitig verstärkenden Phänomene haben zu einer Lebenshaltungskostenkrise geführt und die Bewältigungskapazitäten vieler Länder erschöpft. Insbesondere derjenigen, in denen der Hunger aufgrund von Machtgefällen und strukturellen Hindernissen für die Ernährungssicherheit bereits vor den Krisen groß war.
Die Menschen hatten bereits mit den Folgen von COVID-19 zu kämpfen, und dann kam auch noch der Russland-Ukraine-Krieg, der die Nahrungsmittelpreise hochtrieb. Das hat die Situation noch verschlimmert. In diesen Krisenzeiten ist es schwierig, dreimal am Tag eine Mahlzeit einzunehmen. Viele müssen sich täglich abmühen, um wenigstens eine oder bestenfalls zwei Mahlzeiten zu sich zu nehmen. Das ist anders als in normalen Zeiten, ohne Konflikte.
Mohamed Ali Mohamed (20), Somalia
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Prognosen legen nahe, dass bei keinem der WHI-Indikatoren die Zielwerte der globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) bis 2030 erreicht werden: Die Verbreitung von Unterernährung, Wachstumsverzögerung bei Kindern, Auszehrung bei Kindern und die Kindersterblichkeit sind weit vom Ziel entfernt.
Die Schocks und Krisen haben einige Regionen, Länder und Gruppen besonders hart getroffen
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Die Krisen haben die Ungleichheiten zwischen Regionen, Ländern und Gruppen verschärft. Während einige Länder sie relativ gut überstanden haben, wurden die Hunger- und Ernährungsprobleme in anderen Ländern schlimmer.
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Die globalen Negativfolgen der COVID-19-Pandemie, des Russland-Ukraine-Kriegs und der höheren Nahrungsmittelpreise könnten sich 2023 etwas abschwächen. Die klimatischen Bedingungen hingegen verschlechtern sich, und für viele Menschen auf der Welt sind die Nahrungsmittelpreise immer noch unerschwinglich hoch. Weniger resiliente Regionen, Länder und Gemeinschaften werden voraussichtlich anhaltend unter Hunger und Rückschlägen bei der Ernährungssicherheit leiden. Viele sind auf künftige Krisen unzureichend vorbereitet.
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Staaten mit niedrigem und mittlerem Einkommen waren im Vergleich zu Staaten mit hohem Einkommen besonders stark betroffen. Wie gut sich Länder von derartigen Situationen erholen können, hängt weitgehend von grundlegenden Faktoren ab, wie staatliche Fragilität, Ungleichheit, schlechte Regierungsführung und chronische Armut.
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Viele Jugendliche in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind besonders vulnerabel gegenüber Ernährungskrisen. Angesichts der Bedeutung des Gesundheits- und Ernährungszustands junger Menschen für das Wohlergehen künftiger Generationen ist dies besorgniserregend.
Regionale Trends: Grund zur Sorge in allen Weltregionen
ABBILDUNG 1.3
REGIONALE WHI-WERTE FÜR 2000, 2008, 2015 UND 2023
Anmerkung: Für Datenquellen siehe Anhang A im Gesamtbericht. Die regionalen und globalen WHI-Werte werden mittels regionaler und globaler aggregierter Werte für jeden Indikator und der in Anhang A beschriebenen Formel berechnet. Diese regionalen und globalen Gesamtwerte für jeden Indikator werden als bevölkerungsgewichtete Durchschnittswerte und unter Anwendung der in Anhang B aufgeführten Indikatorwerte errechnet. Bei Ländern, für die keine Daten zur Unterernährung vorliegen, wurden die Gesamtwerte anhand von Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) ermittelt, die in Anhang B nicht aufgeführt sind. Für Angaben darüber, welche Länder die einzelnen Regionen umfassen, siehe Anhang D.
In Südasien und Afrika südlich der Sahara ist der Hunger am größten
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Südasien und Afrika südlich der Sahara sind mit WHI-Werten von jeweils 27,0 die Regionen mit den höchsten Hungerraten weltweit. Der Wert zeigt ernste Hungerlagen in beiden Regionen an. Bereits seit zwei Jahrzehnten werden dort kontinuierlich die höchsten Hungerwerte festgestellt, die für 2000 als sehr ernst und entsprechend den WHI-Werten für 2008 und 2015 als ernst eingestuft wurden. Während beide Regionen zwischen 2000 und 2015 beträchtliche Fortschritte erzielt haben, zeigt ein Vergleich der Werte von 2015 und 2023, dass diese positive Entwicklung inzwischen stagniert – ein Trend, der auch weltweit zu beobachten ist.
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Südasien und Afrika südlich der Sahara sind die Weltregionen mit den höchsten Hungerraten, bei 21,7 Prozent - ein deutlicher Anstieg gegenüber 16,8 Prozent im Zeitraum 2010-2012. Afrika südlich der Sahara hat mit 7,4 Prozent auch die höchste Kindersterblichkeitsrate aller Regionen.
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Die Region Westasien und Nordafrika hat das dritthöchste Hungerniveau gemäß den WHI-Werten für 2023. Angesichts eines WHI-Werts für 2023 von 11,9 ist das Hungerniveau in der Region als mäßig einzustufen.
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Die steigenden WHI-Werte für Lateinamerika und die Karibik seit 2015 sind besonders beunruhigend. Es ist die einzige Region, deren WHI-Werte in diesem Zeitraum gestiegen sind.
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Die Region Ost- und Südostasien, dominiert vom bevölkerungsreichen China, weist den zweitniedrigsten WHI-Wert 2023 auf.
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Die Weltregion mit dem niedrigsten WHI-Wert 2023 ist Europa und Zentralasien. Ihr Wert von 6,1 deutet auf ein niedriges Maß an Hunger hin.
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Auch in Regionen, die nicht vom WHI erfasst werden, darunter Nordamerika und Teile Europas, stellt Ernährungsunsicherheit weiterhin eine Herausforderung dar.
Ländertrends: Hunger in zu vielen Ländern
Weltweit wurden seit dem Jahr 2000 Fortschritte bei der Reduzierung des Hungers erzielt. In 43 Ländern ist der Hunger jedoch immer noch ernst oder sehr ernst.
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Gemäß den WHI-Werten 2023 und vorläufigen Einstufungen weisen neun Länder sehr ernste und 34 Länder ernste Hungerzustände auf. Es gibt sechs Staaten mit sehr ernsten WHI-Werten für 2023: die Zentralafrikanische Republik, die Demokratische Republik Kongo, Lesotho, Madagaskar, Niger, und Jemen. Die Hungerlage in drei weiteren Ländern wird trotz unzureichender Daten für die Berechnung der WHI-Werte vorläufig als sehr ernst eingestuft: Burundi, Somalia, und Südsudan.
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In vielen Ländern herrscht im Jahr 2023 akuter Hunger, und es wird erwartet, dass sich die Situation im Laufe des Jahres weiter verschlechtert. Die Länder, die im Jahr 2023 am meisten Anlass zur Sorge geben, sind Afghanistan, Haiti, Nigeria, Somalia, Südsudan, Sudan, und Jemen, sowie Burkina Faso und Mali.
Meistens sind bewaffnete Konflikte schuld am Hunger in unserer Gemeinde. Ich bin Bäuerin. Wenn bewaffnete Konflikte ausbrechen, müssen wir alle fliehen, und ich muss mein Feld und meine Ernte zurücklassen. Wo wir hinkommen, sind wir neu. Wir haben dort keine Felder, keine Vorräte. Deswegen sind wir immer gefährdet. Wir haben alles in unserem Heimatdorf zurückgelassen.
Ruth Yumba (20), Demokratische Republik Kongo (Name aus Sicherheitsgründen geändert)
Unsere Schule befindet sich in einem Gebiet, das wegen des Klimawandels ständig von Ernährungsunsicherheit betroffen ist. Das wirkt sich oft sehr negativ auf die Schulbildung der Kinder aus, insbesondere auf die Häufigkeit des Schulbesuchs.
Clémence Kwizera (43), Burundi
Alles hängt zusammen. Wenn die Straßen wegen der bewaffneten Banden blockiert sind, kommen die Lebensmittelhändlerinnen nicht durch. Dann verderben ihre Nahrungsmittel. Diejenigen, die noch Nahrungsmittel haben, verkaufen sie teurer. Wenn die Vorräte zur Neige gehen, können wir keine nahrhaften Lebensmittel mehr bekommen.
Alexis Lourdrona (21), Haiti
Unterernährung und Kinderunterernährung sind in einigen Ländern besonders ausgeprägt
Doch es gibt auch Beispiele für Fortschritt und Hoffnung
ABBILDUNG 1.4
WHI-WERTE FÜR 2023 UND DIE ENTWICKLUNG DER LÄNDER SEIT 2000
Anmerkung: In dieser Abbildung sind die Veränderungen der WHI-Werte seit 2000 in absoluten Zahlen dargestellt. Sie zeigt Länder, für die Daten aus den Jahren 2000 und 2023 für die Berechnung des WHI-Werts zur Verfügung standen und in denen die WHI-Werte 2023 auf eine mäßige, ernste, sehr ernste oder gravierende Hungersituation hinweisen. Einige Länder, in denen von einer schlechten Hungersituation auszugehen ist, erscheinen hier wegen fehlender Daten nicht.
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Sieben Länder, die im Jahr 2000 laut WHI einen sehr ernsten Hungerzustand hatten – Angola, Äthiopien, Niger, Sierra Leone, Sambia, Somalia und Tschad –, haben sich positiv entwickelt. Den WHI-Werten für 2023 nach zu urteilen haben es fünf dieser Länder geschafft, ihr Hungerniveau auf ernst zu reduzieren, und Nigers WHI-Wert 2023 liegt mit 35,1 sehr nahe an der Kategorie ernst. Somalias Hungersituation hingegen wird vorläufig als sehr ernst eingestuft.
Ernährungsunsicherheit und Fehlernährung gefährden die Lebenschancen der Jugend
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Junge Menschen „wachsen in ungleichen und nicht nachhaltigen Ernährungssystemen auf, die keine Ernährungssicherheit bieten und sehr anfällig gegenüber dem Klimawandel und Umweltzerstörung sind“, wie in Kapitel 2 „Über 2030 hinaus: Jugend für eine ernährungssouveräne Zukunft“ beschrieben. as described in this year's essay, “Über 2030 Hinaus: Jugend Für Eine Ernährungssouveräne Zukunft.”
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Die Jugend – der Zeitraum der Adoleszenz und des frühen Erwachsenenalters – ist ein wichtiges Entwicklungsstadium, in dem angemessene Ernährung und ausreichende Nährstoffversorgung entscheidend sind. Neben der frühen Kindheit ist die Adoleszenz die Zeit, in der das körperliche Wachstum und die Entwicklung am schnellsten voranschreiten.
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Ernährungsunsicherheit und Hunger sind gewaltige Hindernisse für Jugendliche in dieser kritischen Lebensphase.
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Neben dem Zugang zu Nahrungsmitteln und deren Verfügbarkeit können auch soziale Faktoren die Nahrungsmittelwahl junger Menschen beeinflussen.
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Der hohe Anteil kalorienreicher, nährstoffarmer Lebensmittel in der modernen Ernährung birgt für Jugendliche ein doppeltes Risiko durch Fehlernährung: Übergewicht/Adipositas und Mikronährstoffmangel.
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Ein wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit dem Nährstoffbedarf junger Frauen sind eine potenzielle Mutterschaft und die Auswirkungen des Ernährungszustands auf Mutter und Kind.
Ich hoffe, dass unsere Kinder gesund aufwachsen können, dass sie seltener krank werden und dass die Rolle der Frauen in allen Bereichen gestärkt wird. So könnte es in Südsudan besser werden und die nächste Generation mehr Erfolg haben.
Joyce Abalo (34), Südsudan
Fazit
Das Recht auf angemessene Nahrung bleibt jeden Tag Millionen von Menschen verwehrt. Daher muss sich die Politik in aller Deutlichkeit zu einer inklusiven Governance von Ernährungssystemen verpflichten, um sicherzustellen, dass diese Ungerechtigkeit ein für alle Mal beendet wird.
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Die Krisen, mit denen die Welt in den letzten Jahren konfrontiert war, haben die Fortschritte bei der Beendigung des Hungers untergraben, und die Zukunft verheißt zunehmende Krisen, auf die die Welt nicht vorbereitet ist. Diese traurige Prognose wird durch die Beschleunigung des Klimawandels untermauert, der wahrscheinlich nicht nur unmittelbare, wetterbedingte Krisen wie Dürren, Überschwemmungen, extreme Stürme und Hitze auslösen wird, sondern auch mittelbare Krisen wie Pandemien, Konflikte und Vertreibung. Diese können ohne geeignete Gegenmaßnahmen allesamt den Hunger weiter antreiben. Angesichts der enormen Ungleichheit in der heutigen Welt werden diese Lasten unverhältnismäßig stark von denjenigen getragen, die bereits jetzt am meisten unter Hunger, Armut, Konflikten und schlechter Regierungsführung leiden.
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Auf globaler Ebene wurde auf unzähligen Gipfeltreffen und in ambitionierten Erklärungen versprochen, Hunger und Fehlernährung sowie deren Ursachen zu überwinden. Wenn diese Versprechen jedoch nicht in die Tat umgesetzt werden, wird die nächste Generation immer größerer Ernährungsunsicherheit ausgesetzt sein. Es ist wichtiger denn je, diesen generationenübergreifenden Kreislauf zu durchbrechen. Immer deutlicher zeigt sich, dass dies eine ganzheitliche Umgestaltung der Ernährungssysteme und Verbesserungen der Governance-Strukturen, Energie- und Infrastruktursysteme, sozialen Sicherungssysteme und mehr erfordert, denn sie alle sind derzeit unzureichend, um das Nachhaltigkeitsziel der Weltgemeinschaft Zero Hunger zu erreichen.